Drachenlandung. Ein neu erworbenes Aquamanile des 12. Jahrhunderts im Dommuseum Hildesheim

Drachenlandung. Ein neu erworbenes Aquamanile des 12. Jahrhunderts im Dommuseum Hildesheim

Organisatoren
Dommuseum Hildesheim
Ort
Hildesheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.06.2016 - 18.06.2016
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Von
Claudia Hefter, Historisches Institut, Universität Potsdam

2014 erwarb das Dommuseum Hildesheim mithilfe der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Stiftung Niedersachsen und der Klosterkammer Hannover ein Aquamanile in Drachengestalt aus Bronze. Nur höchst selten kommt ein der Forschung bis dato völlig unbekanntes Gießgefäß so herausragender Qualität auf dem internationalen Kunstmarkt zum Verkauf, und nur selten kann ein solches Objekt für eine museale Sammlung erworben werden. Der somit in jeder Hinsicht außergewöhnliche Ankauf war der Anlass zur Organisation einer Ausstellung mit dem Titel „Drachenlandung. Ein Hildesheimer Drachenaquamanile des 12. Jahrhunderts“ und eines gleichnamigen kunsthistorischen Studientages, zu dem das Dommuseum zahlreiche Spezialisten mittelalterlicher Bronzewerke eingeladen hatte. Es galt ein Werk zu untersuchen, das vor wenigen Jahren im Kunsthandel als „osmanische Öllampe“ auftauchte und welches nun als eines der ältesten mitteleuropäischen Aquamanilien angesehen werden darf. Folglich wirft die Neuerwerbung viele Forschungsfragen auf. Im Vordergrund der Tagung stand deshalb die erstmalige Einordnung des Objekts ins Panorama der bislang bekannten hochmittelalterlichen Aquamanilien im Kontext der mittelalterlichen Bronzekunst im Umkreis des Harzes. Des Weiteren ging es um das ungewöhnliche Motiv des Drachens, genauer gesagt eines in der persischen Mythologie als Senmurv bekannten Fabelwesens, die vielfältige Bedeutung des Materials Bronze, die Inszenierung von Aquamanilien sowie ihre Wahrnehmung und Rezeption im sogenannten Fin de Siècle.

MICHAEL BRANDT (Hildesheim) leitete den kunstgeschichtlichen Teil der Tagung mit dem Thema: „Made in Hildesheim? Überlegungen zur niedersächsischen Bronzekunst des 12. Jahrhunderts“ ein. Anhand eines figürlich gestalteten Leuchters, namentlich des sogenannten Samson-Leuchters aus Schaalsee, der bisher als „norddeutsch“ und im 12. / 13. Jahrhundert entstanden beschrieben wurde, verdeutlichte Brandt, dass jene unklar umrissene Region viel einheitlicher betrachtet werden muss, als die Vielzahl von bisherigen Lokalisierungsbegriffen vermuten lässt. Dies unterstrich er mit Verweis auf den berühmten und viel diskutierten Techniktraktat, die Schedula diversarum artium, und veranschaulichte auf dieser Grundlage, dass Bronzewerkstätten erstens arbeitsteilig konzipiert und zweitens nicht temporär waren. Der Zweck der präzisen Beschreibungen in der Schedula bestände nach Brandt darin, den nötigen Wissenstransfer zu gewährleisten und eine logische Abfolge von Arbeitsschritten für Referenzobjekte zu präsentieren. Brandt betonte im historischen Kontext vor allem die Bedeutung Hildesheims im 12. und 13. Jahrhundert als herausragendes Zentrum der Herstellung von Bronzeobjekten. In den komplexen ikonographischen Programmen der Werke sah er eine eindeutige Bindung an den Klerus und damit an das Hildesheimer Domstift. Das in dieser Zeit weit gespannte Beziehungsgeflecht der geistlichen Elite Hildesheims ließe sich beispielsweise an Gebetsverbrüderungen und der Weitergabe von Reliquien, aber auch anhand der guten Überlieferungslage, etwa mithilfe der berühmten Hildesheimer Briefsammlung, nachvollziehen. Mit seinem Vortrag veranschaulichte Brandt nicht nur die technikgeschichtliche Relevanz der Schedula für mittelalterliche Bronzewerke, die über die Beschreibung des Gusses weit hinausgeht, sondern legte überzeugend dar, dass viele „norddeutsche“ Objekte im Hinblick auf eine mögliche Herstellung in Hildesheim neu überdacht werden müssen.

Nach dieser Einführung in das Forschungsfeld der mittelalterlichen Bronzewerke stellte JOANNA OLCHAWA (Osnabrück) die Neuerwerbung in den Vordergrund. Hierbei konzentrierte sie sich einerseits auf die kunsthistorische Gegenstandssicherung mit einer dezidierten Technik-, Form- und Stilanalyse, und stellte auch die Bedeutung des Werkes heraus. Dabei ging sie in einem ersten Teil auf die technischen Besonderheiten, wie die zwei „Fenster“ zum Entfernen des Tonkerns ein, und widmete sich einer ausführlichen Stilkritik. Hier führte sie plausibel vor, dass das Werk zu den vier ältesten Aquamanilien aus Westmitteleuropa gehört und sehr wahrscheinlich in Hildesheim hergestellt wurde. Hierfür spricht nach Olchawa maßgeblich die spezifische Kombination der sich auf dem Aquamanile befindenden Ornamentik (florale Musterung auf perlpunziertem Hintergrund, gerippte Bänder sowie Rautenmotivik mit sternartigen Gravierungen auf den Flügelansätzen). In einem zweiten Teil ging Olchawa den Fragen nach, warum ein Gefäß zur rituellen Handwaschung ausgerechnet in Form eines Drachens gestaltet wurde, und welche Vorstellungen damit verknüpft waren. Drachengestalten lassen sich allgemein mit Wasser und Sündhaftigkeit assoziieren. Das Hildesheimer Drachenaquamanile repräsentiere, so betonte Olchawa, eine visuelle Warnung vor Verfehlungen, einerseits durch die bildliche Verkörperung von Sünde, andererseits durch die Einbettung in das Ritual der liturgischen Handwaschung. Damit transportiere es gleichsam eine apotropäische Wirkung. Die beiden Zugänge – eine „praktisch“ orientierte Sicht mit einer detaillierten Objektanalyse und dem Herausstellen der eigentlichen Bedeutung, bzw. dem Zusammenspiel von Form und Funktion–, erwiesen sich für das Hildesheimer Drachenaquamanile als besonders aufschlussreich.

Der zweite Tag der Veranstaltung war einzelnen Aspekten des Aquamanile gewidmet. Den Anfang machte HILTRUD WESTERMANN-ANGERHAUSEN (Köln), die sich mit dem Material des Drachenaquamanile beschäftigte. Dabei widmete sie sich nicht nur der Funktion von Bronze als Werkstoff, sondern unterstrich auch dessen allgemeine Bedeutung, wie seine Rolle als materialisierter Inbegriff von Dauerhaftigkeit. Im Bereich von Kirche und Kloster symbolisierte Bronze seit jeher Ewigkeit und Macht, was sich vor allem an Bronzetüren, wie etwa denen des Erzbischofs Willigis von Mainz (um 1000), aber auch in Gestalt von Rauchfässern ausdrückte. Darüber hinaus betrachtete sie Bronze auch aus einem rein pragmatischen Blickwinkel, denn sowohl das Material als auch die daraus hergestellten Produkte stellten einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Im zweiten Teil ihres Vortrages ging Westermann-Angerhausen auf die Rolle des Werkstoffs Bronze innerhalb der Schedula diversarum artium ein. Im Hinblick auf die Autorfrage der Schedula riet Westermann-Angerhausen zu einer kritischen Haltung, zumal weniger von einer individuellen Person – dem Priestermönch Theophilus Presbyter – als vielmehr von einem Autorenkollektiv auszugehen sei. Hier gilt es zu fragen, ob man von der Schedula als eine Art normierter Handlungsanleitung im monastischem Umfeld oder einem „open source Sammelbecken“ auszugehen hat – wie es aktuell auch in der Schedula-Forschung diskutiert wird. Insgesamt stellte Westermann-Angerhausen die These auf, die causa scribendi der Schedula beziehe sich auf die Gewährleistung des vollkommenen Vollzugs der Liturgie, welcher durch die Arbeit am Schmuck des Gottesdienstes sichergestellt werden soll.

Einen weiteren wichtigen Aspekt innerhalb der Erforschung des Aquamanile stellt das ungewöhnliche Motiv des Drachen oder Senmurven dar. Diesem widmete sich SARA KUEHN (Wien), indem sie der Ikonographie und der inter- bzw. transkulturellen Verbreitung des „Senmurven“-Motivs in Kleinasien, Ostasien und Europa nachging. Nach der Erläuterung der etymologischen Herkunft des Namens „Senmurv“ aus dem Pahlavī oder asarkidischen Begriff „sēn(ē)murv“ und den Beschreibungen in der Mythologie, stellte sie die formalen Eigenschaften heraus: Abweichend von der Form eines Vogels, besitzt der Senmurv nämlich keinen Schnabel, sondern ist mit einer hundeähnlichen, wölfisch anmutenden Schnauze ausgestattet, wohl aber ist er durch einen Pfauenschwanz gekennzeichnet. Hinzu können reptilienhafte Elemente treten, wie beispielsweise eine gespaltene Zunge. Darstellungen dieses Fabelwesens finden sich in sassanidischer und islamischer Kultur auf einer Vielzahl unterschiedlichster kleinformatiger Kunstwerke, die aus Metall, Glas oder Stein hergestellt wurden. Darüber hinaus ging Kuehn auf die Darstellung von Senmurven auf Textilien ein, wie auf Seidenvorhängen oder anderen kostbaren Gewändern. Insgesamt verdeutlichte Kuehn, dass der Senmurv ikonographisch stets mit dem Ideenkreis Glück, positivem Schicksal sowie Schutz in Verbindung gebracht wurde. Nach Kuehn handelt es sich bei dem Motiv des Senmurven eindeutig um ein royal emblem – ein königliches Symbol –, das allein dem Herrscher vorbehalten war.

HARALD WOLTER-VON DEM KNESEBECK (Bonn) verankerte die Hildesheimer Neuerwerbung in einen weiteren Kontext und untersuchte sie auf ihre Deutbarkeit. Dafür griff er aus der Vielfalt der figürlichen Gießgefäße einige Exemplare in Gestalt von Drachen, Löwen und Reitern heraus. Dabei analysierte er vor allem die Verwendung und Inszenierung von Aquamanilien im Bereich der Liturgie, aber auch im profan-höfischen Bereich. In beiden Fällen könnten sie laut Wolter-von dem Knesebeck als Werke innerhalb von rites de passage – Übergangsritualen angesehen werden, da sie den Zustandswechsel von „unrein“ zu „rein“ begleiten. Als weitere Beobachtung führte Wolter-von dem Knesebeck die jeweilige Inszenierung des Wasserstrahls an, welche im Laufe des Mittelalters drei Formen ausbildete. In der ersten Phase zeichnete sich der Einsatz des Wasserstrahls als überraschendes und sinnliches Element aus, das gleichsam der Belebung des figürlichen Gießgefäßes diente, während das ausfließende Wasser in der romanischen Hauptphase der Aquamanilien im 12. und 13. Jahrhundert eher narrativ ausgestaltet wurde. Diese Inszenierung des Wasserstrahls verlor in der spätmittelalterlichen Phase immer mehr an Bedeutung. Resümierend stellte Wolter-von dem Knesebeck die These auf, dass vor allem hybride Aquamanilien als Symbol für den steten Kampf in der Welt und für die allgemeine Vergänglichkeit des Lebens betrachtet werden können. Eine Parallele dazu sieht er auch in der Gattung der Buchmalerei und verwies auf die sogenannten Beatusseiten, welche durch meist ganzseitige Initialen den Beginn des ersten Psalms markieren. Auch hier findet sich, wie in der „Bilderwelt“ der Aquamanilien, das Motiv der Welt als Ort ständigen Kampfes.

Im letzten Vortrag der Tagung widmete sich KLAUS NIEHR (Osnabrück) der Wahrnehmung und Rezeption der mittelalterlichen Aquamanilien im 19. Jahrhundert und skizzierte dabei die Impulse in der Wissenschaft, die ab circa 1870 schließlich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit diesen Objekten geführt haben. Um überhaupt als Kunst anerkannt zu werden, hatten Aquamanilien (im Gegensatz zu anderen Bronzewerken wie etwa Taufbecken oder Grabplatten) demnach drei „Hürden“ zu überwinden: Erstens ihre Funktion und „sperrige Visualität“, zweitens ihren Gebrauchsgerätcharakter und drittens die mangelnde Akzeptanz, die ihnen entgegengebracht wurde, da diese Stücke zunächst weder mit der Vorstellung eines christlichen Mittelalters noch mit den zeitgebundenen ästhetischen Ansprüchen in Einklang gebracht werden konnten. Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts öffnete sich auch die wissenschaftliche Literatur für die Ikonographie und mögliche Symbolik dieser ungewöhnlichen Objekte und machte sie schließlich erwähnenswert und bildwürdig. Dieser Perspektivenwechsel findet sich übrigens nicht nur in den Bereichen von Kunst, Architektur und Literatur, sondern auch in den Naturwissenschaften. Infolge dieses Blickwechsels galten Aquamanilien nun auch als wichtige Faktoren der Geschichte menschlicher Kultur. Niehr konstatierte für das frühe 20. Jahrhundert noch einen weiteren Befund, nämlich die Einbettung der optisch so ungewöhnlichen Werke in eine moderne wissenschaftliche Systematik. In Form von großen Gesamtdarstellungen und Detailstudien wurden Aquamanilien nun erstmals historisch-kritisch sowohl auf ihre Funktion als liturgisches Gießgefäß als auch auf ihre stilgeschichtliche Entwicklung hin untersucht.

Der gut besuchte kunsthistorische Studientag verdeutlichte das große Interesse an dem neu erworbenen Aquamanile, das nicht nur visuell durch seine Form besticht, sondern auch für die Forschung von großer Bedeutung ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltung auch zu einer intensiveren Beschäftigung mit anderen, bislang kaum beachteten Aquamanilien anregt, bestehen auf diesem Feld doch noch erhebliche Forschungsdefizite. Insgesamt zeigte sich, dass das Dommuseum Hildesheim als Veranstalter des Studientages nicht nur seiner Vermittlerfunktion gerecht wurde, sondern auch als Ort der Forschung in Erscheinung trat. Geplant ist erfreulicherweise, dass die Vorträge, welche stets von einer regen Diskussion begleitet waren, in einem Tagungsband veröffentlicht werden. Dieser soll als erster Band der Schriftenreihe „Objekte und Eliten in Hildesheim“ des BMBF-geförderten Projektes „Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim, 1130–1250“ erscheinen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Michael Brandt (Hildesheim): „Made in Hildesheim? Überlegungen zur niedersächsischen Bronzekunst des 12. Jahrhunderts“

Joanna Olchawa (Osnabrück): „Das neu erworbene Aquamanile in Hildesheim. Gegenstandssicherung und Bedeutung“

Hiltrud Westermann-Angerhausen (Köln): „Bronze im System der Schedula diversarum artium und als Werkstoff für Kirche, Kloster, Haus und Hof“

Sara Kuehn (Wien): „On the Iconographic Theme and the Cross-Cultural Diffusion of the ‚Sēnmurv’“

Diskussion / Kaffeepause

Harald Wolter-von dem Knesebeck (Bonn): „Drache, Löwe, Reiter. Überlegungen zur Deutbarkeit der zahlenmäßig dominierenden Aquamanilientypen des Hochmittelalters“

Klaus Niehr (Osnabrück): „Aquamanile und Fin de Siècle“

Diskussion / Zusammenfassung


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